Vereinsgeschichte Elena Faktorovich
 
Wie ich den Deutsch-Russischen Verein (DRIV) kennengelernt habe.
 
Meine Familie und ich sind im Jahr 1999 nach Deutschland gekommen. Wie alle Neuankömmlinge haben wir zu Beginn einen Deutschsprachkurs absolviert und daraufhin angefangen, sich einen Platz im beruflichen Leben zu suchen. Mein Mann und ich sind Diplom-Mathematiker, Informatiker und Lehrer. Der erste Schritt für uns war das Diplom anerkennen zu lassen. Unsere Mathematik-Diplome wurden anerkannt, und wir durften uns als Mathematiker bewerben, als Lehrer jedoch nicht. Unsere in Deutschland lebende Bekannte erzählten uns, dass es praktisch unmöglich für Lehrer aus den ehemaligen Sowjetunion ist, sich an einer deutschen Schule auf die Beine zu stellen . „Diesen Weg vergessen“ – das war die Schlussfolgerung. Aus diesem Grund haben wir nicht versucht, uns als Lehrer zu bewerben und fingen an im Bereich Softwareentwicklung oder Erwachsenenbildung eine Stelle zu suchen. Die Suche war gekrönt: wir haben beide Stellen in einer Firma in Bergheim gefunden, die uns nach einem Praktikum anschließend als Festangestellte einstellen wollte. Leider kam der 11.September. Die Firma hat mit vielen amerikanischen Partnern gearbeitet und musste in kürzester Zeit Insolvenz anmelden. Alle Mitarbeiter wurden gekündigt.

Wir mussten uns wieder etwas Neues suchen. Mein Mann hat sich weiterhin als Softwareentwickler beworben, ich habe mir eine Stelle auf dem Honorarbasis im Bereich Erwachsenenbildung gefunden. Das waren zeitliche Verträge, von dem Verdienst konnte jedoch eine ganze Familie nicht leben. Parallel habe ich weiterhin eine Stelle im Bereich Softwareentwicklung gesucht. Sowohl mein Mann als auch ich waren zu diesem Zeitpunkt über 40 Jahre alt. Über 200 Bewerbungen in Summe haben mein Mann und ich geschrieben und abgeschickt. Leider war die Suche erfolglos.
 
Zu diesem Zeitpunkt haben wir auf der Urftstrasse in Rheydt gewohnt und oft bei dem HIT-Supermarkt eingekauft. Eines Tages waren wir bei HIT einkaufen. Plötzlich hat sich ein netter Mann an mich gewandt: "Entschuldigen Sie bitte. Könnten Sie mir helfen Blätterteigpackungen zu finden. Meine Frau hat mich gebeten Blätterteig zu kaufen, ich kann es aber nicht finden." Nachdem ich dem Mann gezeigt habe, wo er den Blätterteig finden kann, haben wir uns noch ein wenig unterhalten und festgestellt, dass wir in den Nachbarhäusern wohnen. Anatolij, so hieß der Mann, hat uns erzählt, dass er ein Mitglied des Vorstandes des Deutsch-Russischen Vereins ist. Der Verein hilft vielen Migranten sich in das deutsche Leben zu integrieren und gibt wichtige Informationen zu allen Lebensbereichen. Er hat uns eingeladen mal vorbei zu kommen. Wir sind der Einladung gefolgt und dadurch Frau Maria Weihrauch kennengelernt. Sie war damals stellvertretende Vorsitzende des Vereins. Ich vergesse nie die Freundlichkeit und Großzügigkeit, mit den sie uns empfangen hat.
Mein Mann und ich sind in den Verein eingetreten. Ein Paar Monate später hat uns Frau Weihrauch informiert, dass sie eine Veranstaltung für die Lehrer aus den ehemaligen Sowjetunion Ländern organisiert. An dieser Veranstaltung sollten die Vertreter des Schulamtes MG und der Abendrealschule teilnehmen und uns erläutern, wie der berufliche Weg eines Lehrers in Deutschland aussieht. Diese Veranstaltung vergesse ich nie. Unerwartet haben wir die Information bekommen, dass ein Weg als Lehrer doch für uns möglich ist.
Der Weg war nicht einfach, weil uns die zweite Staatsprüfung gefehlt hat. Zuerst mussten wir zwei Prüfungen (Deutsch und Pädagogik schriftlich und mündlich) an der Uni Bochum bestanden werden, danach folgten zwei Jahre Referendariat, um wie bei allem jungen Lehrer, nach dem Referendariat die zweite Staatsprüfung zu absolvieren. Das war kein leichter Weg, aber das war der Weg.
 
Der Weg, der wirklich sehr schwierig und lang war und insgesamt fast 4 Jahre gedauert hat. Die Sprache, die Verhaltensregeln, die Leistungsbewertungskriterien, die Unterrichtsmethoden, alles war neu und alles mussten neu gelernt werden. Sogar ein Lehrerzimmer sieht in Deutschland anders aus als in der ehemaligen Sowjetunion.
Ein Mensch kann aber viel schaffen, wenn er will.
 
Paulo Coehlho hat geschrieben: "Wenn du etwas ganz fest willst, dann wird das gesamte Universum dazu beitragen, dass du es auch erreichst." ("Der Alchimist")
 
Ich habe es geschafft. Heute bin ich Lehrerin an einem Gymnasium. Und freue mich jeden Tag, dass ich junge Menschen in Deutschland ausbilden darf.
 
Mein Mann hat die Prüfungen in Bochum auch bestanden, hat aber einen anderen Weg eingeschlagen. Er arbeitet selbstständig als Mathe-Nachhilfe-Lehrer und entwickelt eigene Mathe-Förder-Schule.
 
Im laufe der Zeit ist er selbst ein Mitglied des Vorstandes des Deutsch-Russischen Integrationsvereins geworden, und ist heute der stellvertretende Vorsitzende des Vereins.
 
Und das Witzigste zum Schluss: dieses Treffen bei HIT war doch kein Zufall. Anatolij Hermann ist gezielt auf uns zugekommen, weil er uns in der Nachbarschaft gesehen hat, und hatte damals das Ziel uns als neue Mitglieder für den Verein zu akquirieren. Wir werden nie die Rolle des Vereins in unserem Leben vergessen und sind bis heute dem Verein, Frau Maria Weihrauch und dem "Zufall" der Begegnung mit Herrn Anatolij Hermann dankbar.
Elena Faktorovich
Zum Seitenanfang
JSN Boot template designed by JoomlaShine.com